Saddams Exil

Saddams Exil (2003) (N)

Am Abend des 13. Dezember 2003 atmete ein nicht unerheblicher Teil der westlichen Welt auf! In einem Erdloch in Ad Dawr, ca. 15 Kilometer südlich von Tikrit, entdeckten Spezialeinheiten einen zauseligen, alten Mann mit struppigem Bart und wirrem Haupthaar. Dieser Mann wurde als der flüchtige Saddam Hussein identifiziert und folglich festgenommen, damit er einer gerechten Gerichtsbarkeit zugeführt werden konnte. Der letzte Zufluchtsort des irakischen Potentaten, der die westliche Welt in Angst und Schrecken versetzt hatte, war ein karges, schmutziges Erdloch, kaum groß genug einen erwachsenen Mann aufzunehmen. Der Tyrann, der die „böse Achse“ bis weit in den Westen trieb, ergab sich widerstandslos, obwohl in seiner Erdbehausung zwei Massenvernichtungswaffen des Typs Kalaschnikow vorgefunden wurden.
Ebenso befanden sich 750.000 Dollar Bargeld in seinem Besitz.
Dieser Geldbetrag wirft Fragen auf: Wozu brauchte der Despot so viel Geld? Wollte er seine Erdbehausung erweitern? Wollte er seinen Zufluchtsort wohnlicher gestalten? Wollte er das Erdloch zu einem geheimen Stützpunkt machen? Wollte er hier weitere Massenvernichtungswaffen horten? 
Fragen über Fragen, die wohl niemals beantwortet werden können!
Am gleichen Abend des 13. Dezember 2003 versetzte die Künstlergruppe H2N auf einem Gewerbegrundstück in Haltern, ca. 4542 km nord-westlich von Tikrit, der Geburtsstadt des irakischen Tyrannen, eine kleine Zahl ausgewählter Gäste in höchstes Erstaunen. An diesem stürmischen, verregneten, vorweihnachtlichen Abend enthüllte das Trio vor einem sachverständigen Publikum ein einzigartiges Gebilde west-östlicher Baukunst: Saddams Exil!!!
Lange vor der Gefangennahme des Tyrannen und ohne zu ahnen, dass der Exilant karge Erdlöcher bevorzugt, trafen sich die Künstler zu einem ergiebigen Vorgespräch, basierend auf dem Humus 160-jähriger gemeinsamer Lebenserfahrung, und kamen zu der Erkenntnis: Saddam hat drei Seiten!!! Gemeinhin verfügt der Mensch über zwei Seiten, was im Allgemeinen auch völlig ausreicht. Bei Saddam war es anders! Und diese Besonderheit prägte entscheidend die Grundform des von H2N konzipierten Zufluchtsortes. Ausgehend von Saddams drei Seiten und geprägt durch die Trinität einer christlich-religiösen Tradition musste konsequenterweise vor dem gemeinsamen geistigen Auge des Künstlertrios ein prismatisches Gebilde mit dreieckiger Grundfläche, welches die äußere Form der Behausung des Flüchtenden bildete, entstehen. Somit war der Anfang gemacht.
Vom ersten Gedanken bis zum ersten Spatenstich war es nur ein kleiner Schritt für H2N, jedoch ein großer Schritt für die Exilarchitektur. Einige Fragen jedoch blieben noch offen, und diese Fragen interessierten nicht nur die Leser von „Hübscher wohnen“ sondern auch den gemeinen Häuslebauer: Wie sieht Saddams Exil aus? Wie fügt es sich in die Landschaft ein? Wie richtet ein Tyrann sich ein? Welche Insignien der Macht benötigt er für sein Wohlbefinden? Wie schützt er sich vor neugierigen Blicken? Womit schreckt er unerwünschte Besucher ab? Alle diese Fragen halfen mit ein einzigartiges Kunstwerk zu schaffen, das in seiner Begehbarkeit den interessierten Besucher durch ein tyrannisches Labyrinth führen und dabei sein Despoten-Ich zum Glühen bringen sollte.

2003